Von Gaby Westerkamp
Die Stapelfelder Fototage sind schon seit der Premiere 2012 bekannt als hochklassige Plattform internationaler Naturfotografie, mit immer wieder neuen Facetten zum Immer-wieder-Staunen. Und um es gleich vorweg zu sagen: Das Portfolio der neunten Auflage am vergangenen Wochenende gehörte zum Besten, was das Festival bisher aufgeboten hatte. Gut 240 Besucher erlebten in der Katholischen Akademie Stapelfeld großformatige Multimedia-Shows mit faszinierenden Aufnahmen, untermalt mit stimmungsvoller Musik, flankiert von spannenden Making-of-Infos und vielen humorigen Insider-Anekdoten.
Buchstäblich Tränen gelacht hat das Publikum bei Dr. Ferry Böhm. Und das hatte man bei einem Vortrag über Libellen nun nicht unbedingt erwartet. Aber in seiner „Retrospektive aus sieben Jahren Feldforschung unter Berücksichtigung der präsenilen Bettflucht des Fotografen” zeigte der promovierte Tiermediziner aus Fürstenfeldbruck seine grandiosen Makro-Aufnahmen der eleganten Wasserinsekten in einer gelungenen Komposition aus Wissenschaft und Kabarett. Da lernte man, wie die schillernden Farben auf dem Chitinpanzer entstehen und dass eine Großlibelle bis zu 28.000 Augen am Kopf hat – pro Seite. Und das amüsierte Publikum erfuhr auch in mitreißend lebensnaher Reportage, wie Dr. Ferry mit einem 180er-Objektiv vor der Kamera am FKK-Stand auf dem blanken Hintern eines Badegastes einer lang gesuchten Zangenlibelle nachsetzte. Und wie er das dessen Gattin erklärte. Und dann waren da noch die Szenen aus dem Kapitel „Sex and Crime” im Libellenreich – aber das würde hier zu weit führen, das lesen Interessierte am besten in seinem aktuellen Buch mal selber nach...
Mit der Linse gemalt
Auch Klaus Tamm erwies sich als echter Entertainer, der seine „verwunschene Wildnis” vorzugsweise „nicht weiter als 50 Meter vom Auto entfernt” ablichtet. Lauffaul, aber mit viel Geduld und mit diesem detektivischen Blick fürs Besondere. Ja, der vermeintlich tiefstehende Mond ist dann mitunter tatsächlich nur ein schnöder Scheinwerfer vom eigenen Pkw – aber die damit beleuchtete Schwarz-Weiß-Silhouette der wandernden Kröte ist einfach klasse. Wie auch der Uhu auf der Tanne als Scherenschnitt vorm rotem Sonnenuntergang (mit Heiligenschein aus gebogtem Wolkenband) und die gigantischen Vogelschwärme im Himmelstanz, zarte Blüten im Meer aus grasgrünem Bokeh oder die Blumenfelder in fast psychedelisch wirkender Unschärfe: „Wie mit der Linse gemalt – das ist mein Thema.”
Das gute Naturfotografie Geduld verlangt, das haben die Stammgäste der Fototage schon von vielen Fotokünstlern gehört. Monica Lawrenz gibt auch dem Betrachter ihrer Bilder bewusst viel Zeit, die emotionale Ausdruckskraft der Fotos und Filmsequenzen wahr- und aufzunehmen und in der eigenen Seele nachzuspüren, was das mit einem macht. Statt schneller Schnitte lässt sie Motive lange wirken und sanft überblenden, mal illustriert mit Naturgeräuschen wie Meeresrauschen oder Tierstimmen, dann wieder verschmolzen mit Klangfarben klassischer Musik – in Stapelfeld live gespielt von Pianistin Janka Simowitsch. Und beides zusammen erzeugte eine Intensität, die bis in die letzte Publikumsreihe wirklich jeden „packte”.
Von Fluss und Meer gestaltet
Landschaften – ein ausgereiztes „Allerwelts-Sujet”? Nicht für Stephan Fürnrohr. Der Regensburger landete auf seiner Suche nach natürlich mäandernden Flussläufen in der westsibirischen Tiefebene am Altai-Gebirge und zeichnete dort mit seiner Drohnenkamera eine echte „Kalligrafie der Natur”, mit filigranen Linien, grafischen Erosionsstrukturen am Ufer und leuchtenden Farbspielen wie beim tiefroten Himbeer-See. Leichtfertig geschenkt bekommt man solche schönen Motive nicht: Fürnrohr musste auf seiner Reise weit abseits westeuropäischer Zivilisation immer wieder Mut und Nehmerqualitäten beweisen, sei es als Beifahrer im ruppigen Geländewagen auf Steilfahrt oder in der als Unterkunft improvisierten Schinkenräucherscheune mit entsprechend nachhaltigem Aroma...
Wie die Kraft des Wassers Landschaft formen und gestalten kann, zeigte auch der Niederländer Theo Bosboom in seinem Vortrag „Shaped by the sea”. Entlang der europäischen Atlantikküste von Portugal über Irland bis hinauf nach Skandinavien und den Färöer Inseln sammelte er unzählige beeindruckende Beispiele dafür: Felsnadeln in tosender See und farbig gestreifte Steilklippen, schattenwerfende Algeninseln auf sanften Wellen und zarte Anemonen im Gezeitentümpel, schwarze Basaltsäulen und Lavasandhügel, Ebbe-Priele im Watt, stürzende Wasserfälle und immer wieder raue Felsformationen in wilder Brandung mit sprühender Gischt. Gerade letzteres Motiv liebt der sturmerprobte Fotograf – an heiklen Standorten stets bemüht um die „delikate Balance” kurz vom Abgrund. Denn das Meer bleibt auch für erfahrene Profis unberechenbar.
Hotspots und die Stille abseits
Manche früher nur Kennern bekannte Fotoziele haben sich inzwischen zu überlaufenen Hotspots für Busladungen voll handy-knipsender Touristen entwickelt, berichtete Bosboom. Und das haben auch Willi Rolfes und sein Sohn Johannes bei ihrer Wintertour auf den norwegischen Lofoten-Inseln von Reine bis rauf nach Flakstad Beach erlebt. „Aber nur ein paar Kilometer weiter ist es still, da kann tolle Fotos und Videos machen”. Der Beweis folgte mit wunderbaren Foto- und Filmaufnahmen von monumentalen Bergmassiven in teils surreal anmutenden Lichtstimmungen, malerischen Fjorden und Buchten, weiten Stränden und bunten Hafenorten. „Es lohnt sich, einfach mal an einem Ort zu bleiben und abzuwarten, was passiert”, so Rolfes. Denn je nach Wetterlage sah ein und dasselbe Motiv nach nur wenigen Stunden wieder völlig anders aus. Highlight der Reise waren die flirrenden Polarlichter. Darauf mussten die Beiden erstmal warten, nächtelang tat sich nichts am sternklaren Himmel – „und dann Rock'n'Roll!”
Willi Rolfes stellte bei den Fototagen auch sein Projekt „Wildnis Niedersachsen” vor, das er gemeinsam mit Jürgen Borris und Bernhard Volmer realisiert hat. Im ganzen Bundesland portraitierten die Drei verschiedenste Lebensräume, in denen die Natur das Sagen hat – noch oder wieder. Wild muss nicht unberührt sein, aber zurück erobert. Fauna und Flora in ihrer ganze Vielfalt, vom Wattenmeer und den norddeutschen Mooren über Heide, Harz und Elbtalaue bis zum Teutoburger Wald und zum Weserbergland: Da hat unser Bundesland mehr zu bieten, als mancher ahnt.
Urbane Wildnis
Über 100 Tiere haben die drei Fotografen für ihr gleichnamiges Buch und ihre Multimedia-Präsentation abgelichtet. Dagegen hatten Jan Piecha und Dominik Janoschka nur eines im Visier: Den Waschbären. Und zwar in dessen deutscher Hauptstadt Kassel. Auch hier „stolpert man nicht gerade drüber”, berichteten die Beiden, sie mussten schon eine ganze Weile in der Dämmerung suchen und warten und probieren, bis sie mit „Peanut” im Stadtrandwald die erste Waschbärendame entdeckten, die dann auch Topmodel der ersten Bildserien war. Später spürten sie dann die Waschbären auch im Stadtgebiet auf, vor allem krawallierend am „Gelbe-Säcke-Dienstag”. Oder knipsten sie unter parkenden Autos. Und als Silhouette vor bunten Stadtfestlichtern: Das perfekte Foto zum Thema urbane Wildnis.
Nur einem Tier verschrieben hat sich auch Sabine Baumeister: Dem Uhu. Die Spezialistin wusste viel Wissenswertes zu erzählen über die größte Eule Europas, die Mitte der 1960er Jahre vom Aussterben bedroht war. Ein großes Wiederansiedlungsprojekt mit 3000 ausgewilderten Zuchttieren rettete die Bestände, die sich heute wieder erholt haben. Die Nachfahren jener Projekt-Uhus sind heute am liebsten in Steinbrüchen zu Hause. Und sind dort perfekt getarnt. Aber Gewölle und Rupfplätze geben dem geschulten Auge Hinweise, wo sie zu finden sind – und sehenswerte Fotomotive liefern.
Vahlenkamp-Ausstellung bis Mai
Wie immer in Stapelfeld, stellten sich die Referenten nach ihren Vorträgen für Workshops zur Verfügung und viele Besucher nutzten gern die Gelegenheit, die Profis mit Fragen zu Motiven und Machart oder technischer Umsetzung zu löchern. In den Pausen stöberten die Teilnehmer an den Büchertischen und auf dem Fotomarkt, und schlenderten die durch die Ausstellung von Tabea Vahlenkamp. Inspiriert von sanften Naturmomenten hat sie zu jedem ihrer Fotos einen kurzen Haiku-Vers geschrieben und in drei Reihen von selektierten Farbkästchen aus dem Bild platziert – Einladung zu einer poetischen Reise in die eigenen Fantasie. Die Ausstellung, die am Freitag mit einer Einführung von Dominik Blum und einem Vortrag von Dr. Martin Feltes über „Himmel und Erde“ im Zusammenspiel von Malerei, Poesie und Fotografie eröffnet wurde, ist noch bis Anfang Mai in der Akademie zu sehen.